Urteil des BVerwG: Keine Pharmaziekenntnisse für Tätigkeit als verantwortliche Person für GDP erforderlich
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23/24 October 2024
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Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat sich mit der Frage beschäftigt, welche Anforderungen an die Sachkenntnis der für den Großhandel mit Arzneimitteln verantwortlichen Person zu stellen sind.
Nachdem das BVerwG nach der mündlichen Verhandlung am 5. November 2020 das vorinstanzliche Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das OVG zurückverwiesen hatte, wurde nun die schriftliche Urteilsbegründung veröffentlicht. In dem Urteil stellt das BVerwG klar, dass Pharmaziekenntnisse vergleichbar denen, die in einer pharmazeutischen (Berufs-)Ausbildung vermittelt werden, nicht erforderlich sind. Die Kenntnisse können auch durch praktische Erfahrungen gewonnen werden.
Rechtlicher Hintergrund
Die relevanten gesetzlichen Vorgaben finden sich im Arzneimittelgesetz (AMG). Wer Großhandel mit Arzneimitteln betreibt, bedarf gemäß § 52a Abs. 1 AMG einer Erlaubnis. Mit dem Antrag auf eine solche Erlaubnis hat der Antragsteller der zuständigen Behörde bestimmte Nachweise vorzulegen und Erklärungen beizufügen. Gemäß § 52a Abs. 2 Nr. 3 AMG ist "eine verantwortliche Person zu benennen, die die zur Ausübung der Tätigkeit erforderliche Sachkenntnis besitzt." Nähere Angaben zu Art, Umfang oder Nachweis der vorausgesetzten Kenntnisse enthält das AMG nicht. Auch die unionsrechtlichen Bestimmungen enthalten keine inhaltlichen Vorgaben zu der erforderlichen Sachkunde.
Bisheriger Verfahrensverlauf
Die Klägerin, ein Unternehmen das Handel mit Arzneimitteln und anderen Gesundheitsprodukten betreibt, ist seit 2011 im Besitz einer Großhandelserlaubnis für die Betriebsstätte in Düsseldorf. Ende 2013 schrieb das Unternehmen der zuständigen Behörde, der Bezirksregierung Düsseldorf, dass ab dem 1. Januar 2014 der Mitarbeiter P. neuer Betriebsleiter der Niederlassung in Düsseldorf werde und benannte ihn als neue verantwortliche Person. Das Unternehmen teilte gegenüber der Behörde mit, P. habe die erforderliche Sachkenntnis durch berufliche Erfahrung erworben. Er sei seit Beginn seiner Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann im Jahr 1985 im Unternehmen beschäftigt und nehme seit 2005 die Aufgabe eines Betriebsleiters wahr. P habe auch bereits in zwei anderen Betriebsstätten des Unternehmens – nach ordnungsgemäßer Benennung bei der zuständigen Aufsichtsbehörde – die Aufgabe der verantwortlichen Person übernommen.
Die Bezirksregierung Düsseldorf lehnte die Benennung ab, da aus den vorgelegten Unterlagen nicht hervorgehe, dass P. über die naturwissenschaftlichen Grundkenntnisse verfüge, um eine Beurteilung im pharmazeutischen Sinne bei Abweichungen der Arzneimittelqualität vornehmen zu können. Der Nachweis der erforderlichen Sachkenntnis sei daher nicht erbracht.
Die daraufhin erhobene Feststellungsklage des Unternehmens wurde zunächst vom Verwaltungsgericht und danach in zweiter Instanz vom OVG abgewiesen. Das OVG hat in seinem Urteil u.a. ausgeführt, dass die verantwortliche Person nicht nur über detaillierte Kenntnisse der jeweils einzuhaltenden Regeln und Verfahrensabläufe, sondern auch über Kenntnisse im Umgang mit Arzneimitteln verfügen müsse. Nur so werde sie in die Lage versetzt, persönlich für das Qualitätssicherungssystem und damit die Arzneimittelsicherheit einzustehen. Diese Sachkenntnis erfordere nicht zwingend eine bestimmte Ausbildung. Die benannte Person müsse jedoch pharmazeutische Kenntnisse nachweisen, die mit denjenigen vergleichbar sind, die in einer pharmazeutischen (Berufs-)Ausbildung vermittelt werden. Die hierfür erforderlichen Belege seien nicht vorgelegt worden.
Leitsatz des Urteils des BVerwG
Mit der Revision vor dem BVerwG begehrte die Klägerin die Feststellung, dass der von ihr benannte Mitarbeiter P. die erforderliche Sachkenntnis zur Ausübung der Tätigkeit der für den Großhandel mit Arzneimitteln verantwortlichen Person besitzt. Die Revision hatte Erfolg.
Der Leitsatz des Urteils des 3. Senats des BVerwG (Aktenzeichen: BVerwG 3 C 7.19) lautet:
Erforderlich für die Tätigkeit einer verantwortlichen Person im Sinne des § 52a Abs. 2 Nr. 3 AMG sind Sachkenntnisse im Umgang mit den Arzneimitteln, die Gegenstand der Großhandelserlaubnis sind. Die Kenntnisse können durch praktische Erfahrungen gewonnen werden, insbesondere durch Tätigkeiten unter Anleitung und Aufsicht einer verantwortlichen Person in deren Aufgabenbereich. Pharmaziekenntnisse vergleichbar denen, die in einer pharmazeutischen (Berufs-)Ausbildung vermittelt werden, sind nicht erforderlich.
Urteilsbegründung
Das BVerwG kam zu dem Ergebnis, dass die vom OVG vertretene Auffassung mit Bundesrecht nicht vereinbar ist.
Wesentliche Erwägungen des BVerwG waren:
- Der Umstand, dass für die Erteilung einer Herstellungserlaubnis die Approbation als Apotheker oder ein bestimmtes Hochschulstudium der sachkundigen Person vorausgesetzt wird, kann nicht auf die für den Großhandel verantwortliche Person übertragen werden. Die mit einer Herstellungserlaubnis verbundenen Befugnisse gehen weit über den Großhandel mit Arzneimitteln hinaus, da diese auch die Herstellung und Prüfung von Arzneimitteln umfassen.
- Die Vorschriften über die für den Großhandel verantwortliche Person zielen auch nicht, wie beim Pharmaberater, auf eine nichtakademische pharmazeutisch-naturwissenschaftliche Ausbildung ab. Eine vergleichbare Situation liegt nicht vor, weil der Pharmaberater und die für den Großhandel verantwortliche Person völlig unterschiedliche Aufgaben haben.
- Die Anforderung können auch nicht im Wege der Auslegung in das Gesetz "hineingelesen" werden.
- Es handelt sich auch nicht um eine unbewusste Regelungslücke. Der Gesetzgeber habe sich vielmehr für ein bewusstes Absehen von der Vorgabe einer pharmazeutischen Ausbildung oder entsprechender pharmazeutischer Kenntnisse entschieden.
Erforderliche Anforderungen
Was sind aber nun die konkreten Anforderungen an die Sachkenntnis? Nach dem Urteil des BVerwG muss dies anhand des konkreten Aufgaben- und Verantwortungsbereichs bestimmt werden. Mit anderen Worten: Die erforderliche Sachkenntnis muss an den in der Betriebsstätte vertriebenen Arzneimitteln sowie an Art und Umfang des dortigen Großhandels ausgerichtet sein. Je nach Einzelfall können sich die Anforderungen also durchaus unterscheiden.
Das BVerwG nennt in seinem Urteil einige konkrete Beispiele sowie bestimmte Vorgaben und Grenzen:
- Die verantwortliche Person muss über diejenigen Kenntnisse verfügen, die sie in die Lage versetzen, die ihr zugewiesene Verantwortung zu tragen.
- Wenn in der Betriebsstätte z.B. mit kühlpflichtigen Arzneimitteln, Blutprodukten oder anderen sensiblen Arzneimitteln gehandelt wird, die aus Gründen der Arzneimittelsicherheit besondere Vorkehrungen und Überwachungsschritte erfordern, können hierfür auch bestimmte pharmazeutische Kenntnisse erforderlich sein.
- Es ist nicht erforderlich, dass die verantwortliche Person selbst pharmazeutisch-naturwissenschaftliche Risikoanalysen durchführen kann.
- Erforderlich, aber auch ausreichend, ist es, dass die verantwortliche Person den standardisierten Verfahrensregeln folgend Entscheidungen oder fachliche Stellungnahmen von pharmazeutischem Fachpersonals einholt und die praktische Umsetzbarkeit der Entscheidungen eigenständig beurteilen kann.
Entscheidung des konkreten Rechtsstreits
In seinem Urteil hat das BVerwG die erforderlichen Anforderungen im Allgemeinen spezifiziert. Die tatsächlichen Feststellungen im Berufungsurteil reichen für eine abschließende Sachentscheidung in dem konkret verhandelten Fall nicht aus. Zwar spreche vieles dafür, dass P. durch seine berufliche Erfahrung auch die erforderliche Sachkenntnis für die Tätigkeit als verantwortliche Person in der Betriebsstätte in Düsseldorf erworben habe, jedoch lasse sich aus den Akten keine genauere Aussagen über Art und Umfang des in den jeweiligen Betriebsstätten genehmigten und durchgeführten Arzneimittelhandels entnehmen. Die Sache wurde deshalb zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück verwiesen.
Quelle: BVerwG, Urteil vom 05.11.2020 - 3 C 7.19 [ECLI:DE:BVerwG:2020:051120U3C7.19.0]