Mittlere kinetische Temperatur (MKT): Berechnung, Nutzen und Grenzen

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23. Oktober 2025
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Bei Lagerung und Transport von Arzneimitteln kann es trotz sorgfältiger Planung und technischer Maßnahmen zu temporären Temperaturabweichungen kommen – etwa durch äußere Umwelteinflüsse, Verzögerungen oder unvorhersehbare Ereignisse. Um die Auswirkungen solcher Temperaturschwankungen auf die Stabilität des Produkts besser einschätzen zu können, kann die sogenannte mittlere kinetische Temperatur (engl. Mean Kinetic Temperature, MKT) herangezogen werden. Sie bietet einen rechnerischen Ansatz zur Bewertung der thermischen Belastung eines Produkts über einen definierten Zeitraum hinweg.
Definition
Die ICH-Guideline Q1A(R2) „Stability Testing of New Drug Substances and Products“ definiert die MKT wie folgt:
Mean kinetic temperature: A single derived temperature that, if maintained over a defined period of time, affords the same thermal challenge to a drug substance or drug product as would be experienced over a range of both higher and lower temperatures for an equivalent defined period. The mean kinetic temperature is higher than the arithmetic mean temperature and takes into account the Arrhenius equation.
Vereinfacht gesagt: Die MKT ist eine rechnerisch ermittelte Temperatur, die den gleichen Einfluss auf die Stabilität eines Produkts hat wie eine tatsächlich vorliegende, schwankende Temperaturkurve. Dabei fließen höhere Temperaturen stärker in die Berechnung ein als niedrigere – gemäß dem Prinzip der Arrhenius-Gleichung, wonach chemische Reaktionen mit steigender Temperatur exponentiell schneller ablaufen.
Formel zur Berechnung
Die Berechnung erfolgt anhand einer logarithmischen Funktion, in die die einzelnen Temperaturwerte (in Kelvin), die universelle Gaskonstante sowie eine angenommene Aktivierungsenergie eingehen. In der Praxis erfolgt die Berechnung meist softwaregestützt.
Ein einzelner, kurzzeitiger Temperaturausreißer nach oben kann die MKT erheblich erhöhen – auch wenn der arithmetische Mittelwert noch im akzeptierten Bereich liegt. Das macht die MKT zu einem recht sensiblen Indikator.
MKT ersetzt nicht die Einhaltung von Temperaturvorgaben
Trotz ihrer praktischen Anwendbarkeit ersetzt die MKT keinesfalls die Verpflichtung zur Einhaltung der auf dem Produkt gekennzeichneten Lager- und Transporttemperaturen – weder aus regulatorischer noch aus qualitativer Sicht.
Behördenseitig wird der Einsatz der MKT zur nachträglichen Bewertung von Temperaturabweichungen häufig kritisch gesehen. So heißt es im Fragen- und Antwortpapier zum Betreiben eines Großhandels mit Arzneimitteln der Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten (ZLG):
"Die MKT berücksichtigt nicht die Effekte, die auch bei kurzfristigem Überschreiten bestimmter Temperaturgrenzen, die bei Stabilitätsuntersuchungen im Zusammenhang mit der Zulassung festgestellt werden, zu irreversiblen Qualitätsmängeln führen können. Auch die mögliche Rissbildung im Glas von Ampullen oder Injektionsflaschen bei Temperaturen um den Gefrierpunkt bliebe dabei unberücksichtigt. Überdies setzt die Berechnung der MKT voraus, dass die Temperaturverläufe sämtlicher zuvor erfolgter Transporte bekannt sind. In der Regel liegen diese Daten jedoch nicht vor, so dass eine tatsächliche Berechnung nicht erfolgen kann. Maßgeblich ist die Einhaltung der auf der Kennzeichnung angegebenen Lagerungs- bzw. Transporttemperaturen. (siehe auch Fragen zur Transport- bzw. Aufbewahrungstemperatur)".
Fazit
Die MKT kann als ergänzendes Instrument im Rahmen eines risikobasierten Temperaturmanagements dienen – insbesondere bei der Auswertung von Temperaturdaten aus Transportloggern. Sie darf jedoch nicht als pauschale Rechtfertigung für Temperaturabweichungen interpretiert werden. Vorrangig bleibt stets die Einhaltung der spezifizierten Lagerungsbedingungen zur Sicherstellung der Produktqualität und Patientensicherheit.